Meine MS – Wie alles begann…

Am 3.April 2014 wollte ich mich auf den Weg in die Innenstadt machen, um für meine damalige Frau ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Die Innenstadt ist ca. 800 Meter von unserer Wohnung entfernt und ich machte mich zu Fuß auf den Weg. Auf der Hälfte der Strecke überquert man einen Synagogenplatz aus der Reichskristallnacht. Keine Ahnung warum ich das erwähne, aber da ging alles los. Plötzlich und unerwartet stolperte ich, so dass ich mich fast komplett lang legen musste. Mein Kopf dachte ich mache einen Schritt, doch er hob das rechte Bein nicht, führte den Schritt aber aus was dann zum Stolpern führte. Ich ging direkt wieder nach Hause, wenn man das denn überhaupt so nennen kann. Ich wusste das ist nicht normal. Ich hatte seit einigen Wochen ein Kribbeln in beiden Beinen. Das Kribbeln war in beiden Beinen vom Hintern bis in die Fußspitzen. Ach da hast Du Dir was eingeklemmt wie so oft beim Ischias oder so, dachte ich. Das ist von alleine gekommen, das geht auch von allein wieder weg. Dem war nicht so.

Ich bin also am selben Tag noch zu meinem Hausarzt getingelt und drängte auf eine CT Aufnahme beim Radiologen, weil vor 6 Jahren schon mal mein Rücken begutachtet wurde. Am nächsten Tag um 8 Uhr war ich dann schon dran. Der Radiologe gab mir das Ergebnis eines doppelten Bandscheibenvorfalls mit auf den Weg. Ich bin danach sofort wieder zu meinem Hausarzt und der sah sich die Bilder auf der CD des Radiologen an und bestätigte mir den Bandscheibenvorfall. Ich müsste zum Neurochirurgen. Alles klar dachte ich mir. Termin beim Neurochirurgen gemacht für den 10. April. Nach einigen Untersuchungen in seiner Praxis und einem Blick auf die CT-CD sagte er zu mir:

„Wenn Sie nicht bei Pampers ein Abo abschließen wollen und das mit der Potenz auch noch eine Weile laufen soll, dann fahren Sie jetzt bitte ins Krankenhaus, denn Sie haben einen doppelten Bandscheibenvorfall.“

Er hat im Krankenhaus angerufen, gab mir eine Überweisung für das Krankenhaus mit, und ich fuhr nach Hause, um die Tasche zu packen. Anschließend bin ich in die Notaufnahme des Krankenhauses gefahren.

Im Krankenhaus musste ich dann erstmal warten. Ich gab meine CT-CD ab und kam in eine der Notfallkabinen. Nach ca. einer Stunde kam ein Arzt und sagte mir, dass ich alles andere habe, aber keinen Bandscheibenvorfall. Zwischendurch wurde mir Blut abgenommen. Irgendwann später musste ich dann noch zur MRT und nach einiger Zeit tauchte wieder ein Arzt auf und sagte, dass ich auch keinen Tumor habe. Klasse dachte ich. Vielleicht kann mir mal lieber einer sagen was ich habe, aber das passierte an dem Tag nicht mehr. Ich bekam ein Zimmer für die Nacht und musste in der Klinik bleiben. Am nächsten Tag sollte ich dann auf die Neurologie verlegt werden.

Am Tag darauf  kam dann eine Neurologin und besprach mit mir eine Lumbalpunktion. Ich stimmte zu und dann ging es relativ schnell das die Ärztin mir mein Liquor entnahm.
Ich kam anschließend auf Station und musste erneut zur MRT. Dann musste ich noch ein VEP machen lassen. Als die Ärzte später zur Visite kamen, lautete die Diagnose „akute disseminierte Enzephalomyelitis “  = kurz ADEM

Ich hätte Läsionen ( Entzündungen ) im Kopf und im Rückenmark die meinen Ausfall begründen. Mein Liquorwert war auch auffällig und außerhalb der normalen Werte. Ich wurde darüber informiert, dass ich fünf Tage in Folge 1000mg Urbason als Infusion bekomme, um die Entzündungen zu behandeln und ich dann warten muss. In 3 Monaten sollte ich eine Kontroll-MRT machen lassen. Sollte die MRT neue Läsionen zeigen würde man von Multipler Sklerose ausgehen. Ebenso wenn ich in der Zwischenzeit erneute Ausfälle in anderen Regionen bekommen sollte. Dann hätte ich mich auch sofort wieder in der Klinik einzufinden. In der Klinik wurde über den Sozialdienst eine Anschlussheilbehandlung in der Reha beantragt und nach fünf Tagen Kortison kam ich am Geburtstag meines Sohnes wieder auf freien Fuß.

Es gab ein wenig Theater mit dem Beginn der Reha und somit ging einige Zeit ins Land. Am 05. Juni sollte dann meine Reha starten und am 28.Mai musste ich zur Voruntersuchung in die Reha Klinik, die auf MS spezialisiert ist. An dem Wochenende vor dem 28.Mai tat sich plötzlich was Neues in mir auf. Meine Augen spielten verrückt. Ich kann das jedem immer nur so erklären das die Bilder bei Kopfbewegungen immer erst eine Millisekunde später scharf wurden als normal. Ganz extrem merkte ich das an dem Wochenende beim Fahrradfahren als ich eine Straße überqueren wollte. Es war Verkehr und ich habe angehalten. Habe mehrmals nach rechts und links geguckt, um den Verkehr zu checken. Es war mir nur möglich die Straße zu kreuzen, als gar kein Auto mehr kam. Das Scharfstellen der Bilder dauerte gefühlt so lange, dass ich schon nicht mehr wusste wie die Situation links war als ich nach rechts geguckt habe und umgekehrt. Naja ich dachte mir das geht schon wieder weg. Der 28.te Mai kam und ich musste zur Reha. Mein Augenproblem war nicht gelöst und der Neurologe in der Reha fragte mich, ob ich aktuell Schwierigkeiten habe. Ich erzählte Ihm von meinen Augen. Er reagierte sofort und machte ein paar Tests und sagte: „So nehme ich Sie hier nicht auf. Gehen Sie bitte erneut in die Klinik.“

Ich ging und bin am 28. Mai wieder in die Klinik gefahren. Und an dem Tag wurde die MS bestätigt. Und zu allem Überfluss war am dem Tag WELT MS Tag 2014. Ich bekam erneut eine Kortison Stoßtherapie über 5 Tage. MRT Aufnahmen wurden auch wieder gemacht und ein VEP ebenfalls. Es wurde mir nahe gelegt so schnell wie möglich mit einer Basistherapie anzufangen und gab mir einen Stapel Infomaterial von Medikamentenherstellern. Auf jeder Beilage zu den Medis waren grinsende, glückliche Menschen zu sehen. Ich konnte mich nicht direkt entscheiden und nahm das alles mit nach Hause am Tag der Entlassung. Das war dann Schub zwei. Als ich dann zu Hause war habe ich mich dann durch Recherche im Internet zu einem Medikament durchgerungen. Ich habe mir ein Rezept für Tecfidera besorgt und fing mit meiner Basistherapie an. Zum einschleichen 2x120mg und danach dann 2x240mg. Eine morgens, eine abends. Ich habe das Tecfidera von Anfang an gut vertragen. Ich habe vor jeder Tablette einen griechischen Joghurt gegessen. Die einzige Nebenwirkung die sporadisch da war, war der sogenannte Flush. Nach einer halben Stunde war der genauso schnell wieder verschwunden wie er gekommen war.

Am 05.Juni begann ich dann die Reha. Es hat viel Spaß gemacht. Ich habe mich viel bewegt und Sport stand im Vordergrund. Auch die Eisbadewanne jeden Tag war zuletzt ein richtiger Genuss. Es tat gut. Das Kribbeln vom ersten Schub war und ist bis heute nicht komplett weg. Zu der Zeit in der Reha hat das wirklich gut getan gegen das Kribbeln. Ich habe das teilweise zu Hause auch gemacht mit eiskaltem Wasser und Kühlakkus in der Wanne.

Ich habe in der Reha einige Ms´ler getroffen und wir haben uns ausgetauscht beim Walking. Ich habe auch Leute im Rolli mit heftiger Fatigue kennengelernt und habe festgestellt, dass ich nicht so ein Typ für Selbsthilfegruppen bin. Ich wollte meinen eventuellen Verlauf nicht sehen.

Die Reha neigte sich langsam dem Ende. Eine Woche vor dem Ende spürte ich Kribbeln in den Finger und Taubheit in den Armen. Ich ignorierte es mal wieder. Ich bin an dem kommenden Wochenende zu Freunden gefahren und da wurde es immer schlimmer mit meinen Händen. Ich hatte noch drei Tage Reha vor mir und habe aber am Montag direkt meinen Hausarzt angerufen. Der hatte mir mal angeboten die Stoßtherapien auch bei ihm bekommen zu können. Der hatte geschlossen wegen Softwareumstellung. Dann habe ich meine Neurologin angerufen, aber auch die hatte geschlossen wegen Quartalsabrechnung. Man merkt ich wollte auf keinen Fall schon wieder in die Klinik, aber ich musste.

Also dann mit dem Wissen das es fünf Tage Kortison gibt ab in die Klinik. Genau eine Woche später sollte für mich nämlich ein Lehrgang beginnen, der schon seit langem geplant war. Dieser Lehrgang war mir persönlich sehr wichtig, weil zu dem Zeitpunkt bei uns in der Firma das Personalkarussel anfing sich zu drehen und mich das weiter qualifizierte. Eine Baustelle reicht ja nicht.

Nun denn in der Klinik angekommen lief alles wie gewohnt ab. MRT usw. Das war dann mein dritter Schub. Der hat mir allerdings ziemlich die Augen geöffnet. Ich konnte mit der rechten Hand nur noch schreiben wie ein 2 jähriger. Jeden Tag habe ich probiert meinen Namen zu schreiben. Es war eine Katastrophe. Zu dem Kribbeln hatte ich auch wie damals in den Beinen Taubheitsgefühle an manchen Stellen. Man spricht auch oft von einem pelzartigen Gefühl. Das war bislang meine schlimmste Erfahrung mit der MS und mir war klar ab sofort zu reagieren, wenn ich was Ungewöhnliches an mir feststelle.

Der Chefarzt hat mit mir besprochen wie es nun weiter geht. Erst einmal wollte er mich an die Leine nehmen, wie er es sagte, aufgrund der hohen MS Aktivität. Das bedeutete ambulante Weiterbehandlung durch die Klinik und Ihren Fachleuten. Der Chefarzt wollte die Therapie eskalieren. Ich legte ein Veto ein, weil ich dem Tecfidera eine Chance geben wollte. Ich nahm es erst einen Monat und wie man so lesen kann, dauert es zwischen drei und sechs Monaten bis Basistherapien greifen. Ich war so froh, dass ich entgegen vielen Meinungen so wenige Nebenwirkungen hatte. Der Chefarzt ging den Kompromiss ein. In 3 Monaten soll ich zur Kontroll-MRT und dann sehen wir weiter.

Ich fieberte dem Freitag der Krankenhauswoche entgegen. Ich wollte raus damit ich meinen Lehrgang machen konnte. Nun aber war das Problem mit dem Schreiben ja dar. Jeder MS`ler weiß das sich Symptome nicht im Handumdrehen zurückbilden und so war das auch bei mir mit dem Schreiben. Ich erinnerte mich zurück an die Reha. Dort wurden mir Hilfsmittel gezeigt die den Alltag erleichtern sollen. Mir wurden da unter anderem dicke Schreibstifte vorgestellt, damit man nicht so verkrampft beim Schreiben. Damals musste ich darüber tatsächlich etwas schmunzeln. Jetzt war ich aber plötzlich in genau dieser Situation. Ich ging in die Stadt, um nach dicken Kulis zu gucken. Ich fand auch einen und ebenso einen Gummiaufsatz für normale Stiftdurchmesser. Der Lehrgang konnte kommen und wurde auch positiv absolviert.

Ich ging das erste Mal wieder arbeiten, aber dann folgte auch gleich der Sommerurlaub. Die ursprünglich geplante Fahrt nach Kroatien hatten ich frühzeitig abgesagt und habe dann die Alternative Schweden gewählt. Für den Notfall habe ich mir eine orale Notfall Stoßtherapie verschreiben lassen. Ich brauchte sie aber nicht.

Die Zeit verging und bis zum Tag der Kontrolluntersuchung hatte ich meine Ruhe. Ich ging arbeiten und alles war prima.

Ein leichtes Kribbeln in beiden Füßen ist geblieben und die Hände Kribbeln auch leicht. Nur bei Wärme oder starker Beanspruchung meiner rechten Hand verschlechtert sich der Zustand meiner rechten Hand, also so eine Uhthoff Nummer.

Ansonsten ist Lhermitte zugegen und beim Wasser lassen dauert es was länger. Und wenn ich schon dabei bin, sporadisch hängendes rechtes Augenlid und unterschiedlich große Pupillen sind auch mit der Partie. Das Problem vom zweiten Schub hat sich komplett zurückgebildet.

Zu guter Letzt habe ich fast jeden Abend Temperatur Missempfindungen. Die Füße sind heiß wie Donner, aber im Kopf kommt frieren an. Es vergeht kaum noch ein Tag wo ich keine dicken Socken beim Schlafen trage.

Diese Dinge sind stets präsent. Nun kam der Termin zur Kontroll-MRT am 18.Oktober 2014 und ich ließ die Aufnahmen machen. Immer in der gleichen Radiologie, damit man den besten Vergleich hat. Das Ergebnis sollte ich dann am 21.10. mit dem Chefarzt der Neurologie besprechen. Am besagten Tag also dahin und das Ergebnis war vernichtend. Viele neue aktive Herde und somit stand der weitere Verlauf fest. Der Prof. legte mir nahe zu eskalieren bevor etwas Schlimmeres an Schüben passiert, wo ich vielleicht dauerhaft eine Einschränkung vom Bewegungsapparat bekomme oder was anderes aus der gemischten Tüte der 1000 Gesichter. Ich hatte die Qual der Wahl erneut. Ich hatte mich beim letzten Krankenhausaufenthalt schon mit Tysabri auseinandergesetzt und über das Risiko der PML gelesen. Dieses Medikament stand jetzt neben Lemtrada und Gilenya wieder auf dem Programm. Von Gilenya riet mir mein Neurologe ab und bei Tysabri habe ich es von dem JC Virus Test abhängig gemacht. Er gab mir Info Material für beides mit und ich ließ ein wenig Blut da, wegen dem JC Virus Test. Dann ging ich nach Hause und habe mich informiert anhand der Unterlagen und anhand des Internets. Am nächsten Tag hatte ich noch einen Termin bei meiner Neurologin (Wie das alles zusammenhängt erklär ich später nochmal) und die hatte mittlerweile auch den Befund vom Chefarzt und Radiologen. Unabhängig vom Chefarzt riet Sie mir zu Lemtrada. Da hatte ich also meine zweite Meinung, die mir sehr wichtig war. Das Blutergebniss auf JC war positiv, wobei wie viele wissen das ja jeder zweite in sich rum trägt. Die Gefahr einer PML ist ja höher, wenn Tysabri länger als 24 Monate genommen wird und man JC-Positiv ist. Nach dem Absetzen liest man immer wieder mal von einem „Rebound“ d.h. die MS macht da weiter wo es mal aufgehört hat nur noch etwas heftiger. Ich wollte mich dieser Gefahr nicht aussetzen und wollte mich schon gar nicht in 2 Jahren wieder fragen „Mensch was nimmst denn jetzt??? “ und somit fiel die Wahl auf Lemtrada – Alemtuzumab.

Ich muss dazu sagen, dass auch beim Chefarzt einige Patienten dabei sind die länger als 24 Monate schon Tysabri bekommen und bei denen alles gut ist. Es wie immer bei dieser Krankheit überall anders.

Jedenfalls setzte ich die Klinik darüber in Kenntnis, dass ich Lemtrada nehmen möchte. Die Klinik kümmerte sich dann um alles Weitere. Ich will jetzt da nicht sonderlich ins Detail gehen. Wer Lemtrada bekommen soll der wird und muss sich zwangsläufig damit auseinandersetzen. Als erstes musste ich Tecfidera absetzen, damit der Körper wieder auf normale Blutwerte etc. kommt.

Ich war also unbewaffnet für einige Zeit was nicht ganz so ein schönes Gefühl war. Also Mitte Oktober 2014 Tecfidera abgesetzt und Lemtradagabe war angesetzt für Ende Januar 2015. Jetzt hieß es durchhalten. Es gibt eine ganz feine App vom Kompetenznetzwerk Multiple Sklerose KKNMS. Da kann man nachvollziehen was vorher, während dessen und danach von Nöten ist.

In den knapp 3 Monaten habe ich immer wieder versucht Informationen und Erfahrungsberichte über Lemtrada zu sammeln. Leider ist das in unserem Land recht rar gesät. Natürlich bin ich relativ schnell auf den Lemtrada Blog aus den USA gestoßen. Toller Blog. Wer der englischen Sprache mächtig ist sollte den lesen. Im Prinzip war das der Anstoß für meinen Blog. Ich möchte nicht über die Wirkweise berichten und auch nicht über die MS. Ich bin kein Arzt. Alles was hier teilweise geschrieben steht habe auch ich mir angelesen. Bitte alles nicht bewerten. Informationen gibt es genug darüber, aber Erfahrungsberichte wie es einem an den fünf Tagen geht usw. findet man wenig bis gar nicht und da möchte ich Abhilfe schaffen. Das ist genau das was ich die ganze Zeit vermisst habe. Jeder der sich dazu entscheidet möchte vielleicht wissen was auf Ihn zukommt, aber auch hier muss ich sagen, dass es bei jedem wieder völlig anders sein kann.